Die Zukunft des deutschen Stromnetzes: Herausforderungen und Chancen
Einleitung
Die Energiewende in Deutschland stellt das Stromnetz vor große Herausforderungen, bietet aber gleichzeitig auch neue Chancen. Der Ausstieg aus der Kernenergie und der zunehmende Anteil an erneuerbaren Energien erfordern einen Umbau des Netzes, um die schwankende Einspeisung von Strom aus Wind- und Solarkraftwerken zu bewältigen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Netzausbau für die Energiewende
Damit die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibt, sind mehrere tausend Kilometer neue Stromtrassen und ein weiterhin robuster Netzbetrieb notwendig. Nur so kann Strom aus erneuerbaren Energien tatsächlich in jede Steckdose in Deutschland gelangen. Das Stromnetz ist daher das Rückgrat einer gelungenen Energiewende.
Neue Herausforderungen durch erneuerbare Energien
Die neue Erzeugungslandschaft mit Strom aus wachsenden Anteilen von erneuerbaren Energien schafft neue Herausforderungen für das Netz:
- Strom muss teilweise über weite Strecken von den Stromerzeugern zu den Verbrauchern gelangen.
- Erneuerbare Energien und andere Anlagen müssen mehr Systemverantwortung übernehmen und Systemdienstleistungen bereitstellen, die bisher vor allem von konventionellen Großkraftwerken erbracht wurden.
So wird etwa der erneuerbare Strom aus Windenergie vorrangig im Norden und Osten sowie auf See erzeugt, wo der Wind besonders stark weht. Die größten Stromverbraucher - allen voran große Industriebetriebe - befinden sich aber im Süden und Westen Deutschlands. Der im Norden erzeugte „Windstrom“ muss also dorthin transportiert werden.
Netze fit für die Energiewende machen
Bis Mitte April 2023 werden auch die letzten noch laufenden drei deutschen Kernkraftwerke außer Betrieb genommen – und auch andere konventionelle Kraftwerke werden schrittweise stillgelegt. Diesen Wandel zeichnet auch das Stromnetz nach: In den nächsten Jahren müssen insgesamt über 13.000 Kilometer im Übertragungsnetz optimiert, verstärkt oder neu gebaut werden. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ-Leitungen), die sogenannten Stromautobahnen, wie beispielsweise „SuedLink“ oder „SuedOstLink“.
Integration in das europäische Netz
Auch der Ausbau und die optimale Nutzung der Verbindungen zu europäischen Nachbarn über sogenannte Interkonnektoren wird immer wichtiger. So können Wasserkraft in Skandinavien und den Alpenländern mit Windkraft und Photovoltaik in Deutschland verbunden werden, um die Kosten der Energiewende zu senken.
Während früher der Strom zumeist in einer Einbahnstraße von zentralen Großkraftwerken über die Übertragungsnetze und die Verteilernetze bis zum Verbraucher floss, müssen die Netze heute Stromtransport mit Gegenverkehr bewältigen. Der Strom fließt nicht nur von „oben nach unten“, sondern auch „quer in alle Richtungen“. Um Erzeugung und Verbrauch bedarfs- und verbrauchsorientiert aufeinander abzustimmen, muss das Stromnetz also „intelligenter“ beziehungsweise „smarter“ und „digitaler“ werden.
Systemdienstleistungen und dezentrale Erzeugungsanlagen
Die bislang überwiegend von zentralen Großkraftwerken mit Synchrongeneratoren bereitgestellten Systemdienstleistungen müssen zunehmend von dezentralen Erzeugungsanlagen und Speichern erbracht werden. Der Anschluss dieser Anlagen erfolgt fast ausnahmslos im Verteilnetz und setzt leistungselektronische Komponenten (Umrichter) voraus. Daraus ergeben sich zugleich neue Möglichkeiten, um einen sicheren und robusten Netzbetrieb zu gewährleisten.
Kooperation zwischen Netzbetreibern
Es bedarf einer deutlich engeren Kooperation zwischen den Netzbetreibern, sowohl zwischen Verteilnetzbetreibern (VNB) und Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) als auch VNB untereinander. Durch den „elektrotechnischen Wandel“ hin zur Leistungselektronik entstehen neue Lösungsansätze für den Netzbetrieb, die zur Sicherstellung der Systemstabilität weiter verfolgt werden müssen.
Rahmenbedingungen für das Stromnetz der Zukunft
Das gesamte Stromnetz mit seinen unterschiedlichen Spannungsebenen muss fit für die Energiewende werden. Um den Ausbau auf Übertragungs- und Verteilernetzebenen weiter zügig voranzutreiben, ihn bürgerfreundlich auszugestalten und die Stromnetze fit für die neuen Aufgaben zu machen, wurden unter anderem mit dem Energiesofortmaßnahmenpaket Änderungen des Energiewirtschafts-, des Netzausbaubeschleunigungs- und des Bundesbedarfsplangesetzes beschlossen. Weitere wichtige Weichenstellungen sind das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und die Novelle der Anreizregulierungsverordnung.
BMWK Stromnetzausbau-Controlling
Um den stockenden Netzausbau aktiv zu beschleunigen, hat das BMWK bereits im August 2018 ein vorausschauendes Controlling für Onshore-Vorhaben eingeführt. Seit 2020 gibt es dieses auch für Offshore-Vorhaben. Kernelemente des Controllings sind die Zeitpläne für jedes Netzausbauvorhaben. Bei regelmäßigen Treffen von BMWK, der Bundesnetzagentur (BNetzA), den Bundesländern und den Netzbetreibern wird über jedes Vorhaben gesprochen. So können die Beteiligten konkrete Hindernisse und Risiken für die Zeitpläne frühzeitig identifizieren und Gegenmaßnahmen ergreifen.
Netzentwicklungsplan 2023-2037/2045
Den Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan 2023-2037/2045 hat die Bundesnetzagentur im Juli 2022 bestätigt. Er enthält jeweils drei Szenarien für die Jahre 2037 und 2045. Dadurch werden drei mögliche Pfade zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2045 beschrieben. Die Pfade unterscheiden sich insbesondere darin, in welchen Bereichen grüner Wasserstoff zukünftig zur Anwendung kommt, wie stark erneuerbare Energien und Elektrolyseure ausgebaut werden und welche Effizienzgewinne dem steigenden Strombedarf entgegenwirken.
Auf der Grundlage dieser Szenarien erstellen die Übertragungsnetzbetreiber die Entwürfe für den Netzentwicklungsplan 2023-2037/2045, die sie bei der Bundesnetzagentur zur Prüfung einreichen. Die enthaltenen Maßnahmen bilden erstmals ein Klimaneutralitätsnetz ab, das zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2045 erforderlich sein wird.
Der Netzausbau schreitet voran
Damit die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibt, müssen in Deutschland mehrere tausend Kilometer Stromtrassen um- und ausgebaut werden. Eine Mammutaufgabe, die durch die fortlaufende Zusammenarbeit aller Beteiligten vorangekommen ist. Die Gesamtlänge aller Netzausbauvorhaben liegt aktuell bei 13.679 km.
- 4.146 km vor dem Genehmigungsverfahren
- 1.074 km in Raumordnung oder Bundesfachplanung
- 5.010 km in oder vor Planfeststellung oder Anzeigeverfahren
- 1.519 km genehmigt und vor oder im Bau
- 1.930 km in Betrieb
Die im Rahmen des regelmäßigen Netzausbau-Controllings von Genehmigungsbehörden und Übertragungsnetzbetreibern aktuell gemeldeten Zeitpläne sehen vor, dass bis Ende 2030 nahezu 10.000 km genehmigt werden und in Betrieb gehen sollen. Der weitere noch zusätzliche Netzausbaubedarf, der sich mit Blick auf das Klimaneutralitätsnetz 2045 ergibt, ist in diesen Zahlen noch nicht enthalten.
Roadmap Systemstabilität
Um einen stabilen Netzbetrieb auch in einem künftig klimaneutralen Stromsystem gewährleisten zu können, entwickelt das BMWK die Roadmap Systemstabilität. Unter breiter Stakeholder-Beteiligung soll ein Zielbild und ein Transformationspfad hin zu einem sicheren und robusten (Strom-)Systembetrieb mit 100 Prozent Erneuerbaren erarbeitet werden.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Die Energiewende stellt das Stromnetz vor große Herausforderungen, bietet aber auch neue Chancen. Der Umbau des Netzes, die Integration von erneuerbaren Energien und die Sicherung der Versorgungssicherheit sind zentrale Aufgaben. Durch umfassende Maßnahmen und enge Zusammenarbeit aller Beteiligten kann Deutschland diese Herausforderungen meistern und gleichzeitig die Chancen nutzen, die sich aus der Energiewende ergeben.